Jedes Jahr gibt es immer weniger Familien und damit immer weniger Nachwuchs. Friedrich Förster, stellvertretender Landesvorsitzender des Deutschen Familienverbands Sachsen (DFV Sachsen), bemängelt vor allem fehlende Aufmerksamkeit und Maßnahmen der Bundespolitik sowie der Wirtschaft. Und fordert zum Handeln auf.

Friedrich Förster, Autor des Beitrags

Es gibt Fehlentwicklungen in unserem Land, die bekannt sind und trotz besseren Wissens nicht angegangen werden. Eine dieser Fehlentwicklungen ist eine dramatische demografische Schieflage, die man Katastrophe nennen kann. Dieser Missstand ist über Jahrzehnte erforscht, in Studien erfasst, statistisch ausgewertet und interpretiert, amtlich bestätigt sowie mit zahllosen Quellen belegt. Leider scheinen sich weder Bundespolitik noch Wirtschaft darum zu sorgen, und Teile der Wissenschaft präsentieren die Problemlösung noch vor der eigentlichen Analyse.

Die Auswirkungen fehlender Aufmerksamkeit und Maßnahmen vor allem im Bereich der Familienpolitik sehen wir bereits jetzt in Form eines sich immer weiter in den Vordergrund schiebenden Fachkräftemangels. Damit verbunden sind Haushaltsdefizite in Kommunen und hohe Zuschüsse des Bundes für die gesetzliche Sozialversicherung. Dieser Zustand ist ein Resultat fehlender politischer Weichenstellungen.

Erste Fehlentwicklung: stark sinkende Geburtenrate

Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland, Quelle: Statistisches Bundesamt

Diese Grafik beschreibt, dass sich jede Generation seit den 1970er-Jahren nur zu circa 75 Prozent selbst „ersetzt“. Zur Verdeutlichung nachfolgend eine Prognose des Freistaats Sachsen in absoluten Zahlen, welche die heutige und die zukünftige Situation darstellt:

Gemäß des Statistischen Landesamts Sachsen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die gelbe Linie für die Zukunft anzunehmen. Wie man sehen kann, flachen die Graphen nicht ab, sondern fallen immer weiter. Gäbe es eine Abflachung und damit eine Annäherung an ein stabiles Niveau, hätte man einen Zustand, auf den man sich als Gesellschaft einstellen kann. Dem ist aber leider nicht so.

Ein anderes Beispiel ist Frankfurt am Main. Die Stadt und die Sozialpartner sind sehr aktiv, Frankfurt wächst und hat eine ausgeglichene demografische Entwicklung. Das bedeutet erfreulicherweise einen hohen Anteil an unter sechsjährigen Kindern. Davon waren 2015 bereits 68 Prozent mit sogenanntem Migrationshintergrund. Bedeutet, dass mindestens ein Elternteil zugewandert ist. In vielen Großstädten von Stuttgart bis Hamburg sind die Zahlen ähnlich. Das mag jeweils viele Gründe haben, aber es dokumentiert dieselbe Entwicklung. Rechnet man die Einwanderung heraus, kommt die eigentliche Ursache zum Vorschein: Diese Städte wären aus eigener Kraft nicht in der Lage, zumindest die Hälfte des für eine einigermaßen ausgeglichene demografische Entwicklung benötigten Nachwuchses zum Selbsterhalt aus sich selbst heraus zu generieren. Das Problem an sich wird jedoch leider nicht angegangen, sondern sozusagen überdeckt.

Um es deutlich zu sagen: Was beschönigend – gleich einer natürlichen Entwicklung, auf die man keinen Einfluss hätte – als „demografischer Wandel“ bezeichnet wird, ist real eine in der Geschichte beispiellose Kinderlosigkeit und das Ergebnis politischer Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. In Zahlen ausgedrückt, ergibt sich ein Negativsaldo von aktuell 160.000 Geburten pro Jahr, diese Zahl steigt immer weiter. Das ist, als ob man jährlich eine Stadt wie Heidelberg mit allen Alten, Jungen, Arbeitern und Angestellten ersatzlos von der Landkarte streicht. Das Jahr darauf würde man dann die nächstgrößere Stadt streichen (Leverkusen) und immer so weiter.

Das Problem ist nicht, dass die Lebenserwartung steigt und damit die Gesellschaft im Schnitt älter wird, sondern dass es jedes Jahr in Folge immer weniger Familien und damit Nachwuchs gibt. Das heißt, dass nicht-geborene Kinder natürlich wiederum auch keine eigenen Familien gründen und Kinder zeugen können. Im Ergebnis wirkt sich diese Entwicklung wie ein negativer Zinseszins aus – eine negative Kindeskinder-Rendite.

Zweite Fehlentwicklung: der politische Umgang mit Familien

Familien leisten das, wovon Bürgerinnen und Bürger sowie Staat und Wirtschaft leben. Eltern sind angehalten zu arbeiten, schicken Kinder in Kitas und Schulen, erziehen und versorgen sie jahrzehntelang. All das spart öffentliche Leistungen, generiert Arbeitsplätze, Konsumausgaben, Steuereinnahmen und bringt neue produktive Steuerzahler sowie – nicht zu vergessen – Wählerinnen und Wähler hervor.

Die Ausgaben, welche Eltern pro Kind allein bis zu dessen 18. Lebensjahr haben, belaufen sich auf mindestens 100.000 Euro. Von der Bundesregierung so deklarierte „familienpolitische Ausgaben“, welche eigentlich die Familien dabei unterstützen sollten, werden ihrem eigenen Anspruch nicht annähernd gerecht. Konkret bedeutet das für ein durchschnittlich verdienendes, verheiratetes Paar, dass es zum Beispiel durch hohe Sozialabgaben bereits ab dem zweiten Kind monatlich deutlich ins Minus und damit in prekäre Verhältnisse abzurutschen droht. Das Kinderkriegen stellt somit, zumindest mit der gegenwärtigen Familienpolitik, für viele Paare und Familien ein Armutsrisiko dar. Der Deutsche Familienverband (DFV) und der Familienbund der Katholiken (FDK) erstellen regelmäßig den „Horizontalen Vergleich“, um diese Zusammenhänge aufzuzeigen.

Damit wird sichtbar, dass Familien sehr schnell unter das Existenzminimum geraten:

Glücklicherweise bedeutet Kinder zu haben, deutlich mehr als das schnöde Geld! Trotzdem muss eine Familie von irgendetwas leben und dafür reicht es bei mehr als zwei Kindern und durchschnittlichem Haushaltseinkommen eben leider oft nicht mehr.

Dazu kommen nur sehr eingeschränkte oder keine Abschreibungsmöglichkeiten bei den Kosten für Kinderbetreuung und Kleidung. Familien sind somit gegenüber kinderlosen Paaren monetär benachteiligt. Die Bundespolitik wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits vor Jahrzehnten verpflichtet, diesen Zustand zu beheben, also die Benachteiligung von Eltern bei den Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen zu korrigieren. Die Bundesregierungen blieben aber tatenlos – und Familien weiterhin benachteiligt.

Viele Mütter mit Kindern unter sechs Jahren entscheiden sich dafür, zumindest eine Zeit lang entweder gar nicht oder nur in Teilzeit zu arbeiten (wenn sie denn eine Stelle kriegen). Frauen trifft so leider oft ein massiver Lohnausfall und auch ein Karriereknick. Das wiederum bringt geringere Einnahmen und eine meist schlechtere Steuerklasse mit sich, was zu verminderten Rentenansprüchen führt. Der Staat macht also in jedem Fall Vorteile für sich geltend, unterstützt die Familien, die für seinen Fortbestand sorgen, aber derzeit kaum.

Ein anderer, bisher weitgehend ignorierter Bereich sind Eltern in Studium und Ausbildung: Wenn junge Paare in Studium oder Ausbildung ein Kind erwarten, stehen sie sehr schnell vor dem finanziellen Aus. In der Elternzeit fallen Bafög, Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsvergütung weg. Danach haben Studenten oder Schüler (und nur diese, nicht die Azubis) gegebenenfalls noch Anspruch auf einen zusätzlichen, eher niedrigen Kinder-Bafög-Zuschlag.

Was bleibt, ist ein Sockelbetrag Bundeselterngeld von 300 Euro für 12 Monate während der Elternzeit. Wie man davon eine Erstausstattung, Möbel, eine (größere) Wohnung, ein evtl. benötigtes Auto und die vielen anderen Mehrausgaben, die mit einem Kind einhergehen, bestreiten soll, bleibt unklar. Zinslose Darlehen für eine Familiengründung oder eine Willkommensprämie für Neugeborene gibt es leider ebenfalls nicht.

Im Ergebnis sitzen viele junge Eltern dann in Beratungsstellen und versuchen, sich aus kommunalem Wohngeld, Leistungen des Sozialamtes, der Familienkasse sowie verschiedenen Stiftungen Almosen zu „erbetteln“, um mit einem Neugeborenen irgendwie über die Runden zu kommen. Das ist demütigend und vermittelt die Botschaft, dass man mit dem Kind einen Fehler gemacht hat und nun selbst zusehen soll, wie man damit umgeht.

Kündigt sich gleich im Anschluss ein zweites Kind an, fällt auch das Elterngeld weg, da in der Zwischenzeit kein Gehalt, Bafög oder Ausbildungsvergütung bezogen wurden. „Hartz 4“ gibt es für diese Gruppen nicht, da sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.

Dritte Fehlentwicklung: der gesellschaftliche Umgang mit Kindern

Warum sollte man also in seinen Zwanzigern Kinder kriegen, sich binden und sesshaft werden, wenn der gesamte Freundeskreis mit sportiven und teuren Hobbys, Hochglanzbildern von Fernreisen auf Instagram und Karrieremachen beschäftigt ist? Warum die immensen finanziellen und beruflichen Nachteile in Kauf nehmen? War es lange Zeit normal mit Anfang 20 das erste Kind zu bekommen, ist es heute fast außergewöhnlich, vor dem 30. Geburtstag Eltern zu werden oder zu heiraten.

Auch gibt es lokale Besonderheiten: In manchen Gegenden Deutschlands wird man mit mehr als zwei Kindern als „asozial“ angesehen. Wahrscheinlich ist das noch eine Denkweise, mit der sich Städter gegen die kinderreichen Landbewohner abgrenzen wollten – hilfreich ist sie jedenfalls nicht. Kinderlärm ist in städtischen Mietshäusern nicht gewünscht, obwohl das ein ganz normaler Teil des Lebens ist. Ähnliche Situationen und Rechtfertigungsdruck erleben Eltern in vielen Bereichen. Bei der Wohnungs- und Arbeitssuche genauso wie beim Einkaufen.

Nimmt man die genannten Aspekte zusammen, wird aus meiner Sicht verständlich, warum vielen die Lust am Kinderkriegen sprichwörtlich vergeht oder das erst in Betracht gezogen wird, wenn ausreichend finanzielle Polster vorhanden sind und der Job bzw. das Karrierelevel gesichert scheinen. Damit verschiebt sich der Zeitpunkt der Familiengründung oft um viele Jahre nach hinten, oder er wird ganz verpasst. Für ein drittes oder viertes Kind ist es dann meist schon zu spät.

Auch die hohe Zahl von etwa 100.000 Abtreibungen pro Jahr in Deutschland kann ein Hinweis auf schlechte Rahmenbedingungen sein. Was auch immer die Gründe im Einzelfall sein mögen, eine Entscheidung gegen ein Kind ist immer tragisch und sollte durch ein familienfreundliches Klima in unserer Gesellschaft so weit wie möglich überflüssig gemacht werden.

Meine Sicht: Es ist die leiseste aller Katastrophen.

In Summe scheint die Steuer-, Abgaben- und Familienpolitik des Bundes die Bürger vom Kinderkriegen eher abzuhalten. Immer mehr Kreißsäle bleiben leer, die Geburtsstationen haben jedes Jahr weniger zu tun. Jedes Jahr schreien weniger Babys nach Zuwendung. Dörfer werden verlassen, Schulen schließen, Häuser verfallen. Die oft werblich adressierten Singles, also alleinstehende Großstädter, werden mehr und mehr zu einsamen Alten ohne Partner und Nachwuchs.

Auch Familien mit zwei oder mehr Kindern gibt es jedes Jahr weniger. Noch etwas drastischer formuliert: Wer keine Kinder oder keine Enkel hat, dessen Familiengeschichte endet in einer Zeit, die so sicher und wohlbehütet ist wie noch nie zuvor. Auch in der Krise. Jedoch schlägt kein Forschungsinstitut Alarm und kaum jemand erhebt im Parlament seine Stimme laut und konsequent für Familien. Ich finde es unheimlich, dass diese Entwicklung so unheimlich still ertragen wird.

Die Familie muss wieder im Fokus stehen – nicht ausschließlich nur die Arbeitskraft!

Die demografischen Daten sehen in vielen unserer europäischen Nachbarländer besser aus. Dänemark, Norwegen und Schweden haben die Problematik der schwindenden Geburten nach dem „Pillenknick“ bereits vor Jahrzehnten erkannt und Maßnahmen ausgearbeitet.

Diese Länder haben inzwischen Geburtenraten um die 1,8 Kinder pro Frau, was kombiniert mit qualifizierter Einwanderung einen stabilen Zustand bedeutet. Daran haben – teils für die Gesellschaft sehr kostspielige – Betreuungsangebote, steuerliche Besserstellungen für Familien und großflächige Unterstützung der politischen Maßnahmen durch die Unternehmen ihren Anteil.

Wie Deutsche Welle berichtet, gibt es in Frankreich neben einer Geburtsprämie pro Kind (circa 1.000 Euro) und ähnlich ausgebauten Betreuungsangeboten deutliche Vergünstigungen in der Einkommenssteuer: „Anders als in Deutschland gibt es beispielsweise für ein Einzelkind kein Kindergeld. Erst nach der Geburt eines zweiten Kindes haben die Eltern einen Anspruch, ab dem dritten Kind gibt es dann noch einen Zuschlag. Auch das Steuersystem belohnt besonders das dritte Kind, ab dem Vierten zahlen französische Familien praktisch kaum noch Steuern.

Bisher scheinen sich die Parteien hierzulande jedoch kaum dafür zu interessieren, dass ihnen Steuerzahler, Mitglieder sowie Wählerinnen und Wähler ausgehen. Sie konzentrieren sich auf ihre derzeit größte, aber schwindende Wählergruppe, die Rentner. Daneben werden die Themen Familiengründung und Familienförderung den radikalen Rändern überlassen, die sie vereinnahmen und für ihre Zwecke missbrauchen.

Für uns Familien ist es wichtig, auf die derzeitige Situation von Eltern und Kindern aufmerksam zu machen und die Politik zum Handeln zu ermutigen.

Nachfolgend eine Auswahl verschiedener Ideen und möglicher Maßnahmen für eine bessere Familienpolitik:

  • Eine deutlich bessere Unterstützung junger Eltern in Studium und Ausbildung
  • Elternunabhängiges BAföG für werdende Eltern über die gesamte Ausbildungsdauer
  • Senkung der Mehrwertsteuer für kinderbezogene Produkte auf 7 Prozent
  • Erstausstattungsprämie für Neugeborene
  • Zinslose Darlehen für die Familiengründungsphase, z.B. bei Heirat oder Geburt
  • Festlegung des staatspolitischen Ziels einer ausgeglichenen demografischen Entwicklung
  • Kinderfreibetrag in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung
  • Erhöhung des steuerlichen Kinderfreibetrags und damit die entsprechende Anhebung des Kindergeldes (mindestens 340 Euro je Kind und Monat)
  • Wahlfreiheit bei der frühkindlichen Betreuung
  • Maßnahmen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
  • Konsequente Umsetzung familienfreundlicher Maßnahmen in den Kommunen – Familie beginnt vor Ort!

 Anmerkung des Autors: Dieser Text entstand mit Unterstützung von Eileen Salzmann, Vorsitzende des Deutschen Familienverbands – Landesverband Sachsen e.V.

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