Die Corona-Pandemie hat beinahe das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zum Stillstand gebracht – mit all seinen Auswirkungen auf die Familie. Je länger die Krise und damit die einhergehenden Einschränkungen dauern, desto mehr Fragen stellen sich Eltern. Sind die von der Politik getroffenen Maßnahmen juristisch überhaupt gerechtfertigt? Steht das Gesundheitsamt bald in meiner Wohnung oder wo kann ich einfach Hilfe erhalten?

Über diese und andere Fragen unterhalten wir uns heute mit Andreé Reschke. Er ist zweifacher Familienvater und verantwortlicher Jurist im Büro der für den Fachbereich Schulen, das Jugendamt sowie das Gesundheitsamt zuständigen Dezernentin sowie Beigeordneten im Landkreis Oberhavel (Brandenburg). Aktuell ist er als Leiter des Sachgebiets „Recht“ Mitglied im „Verwaltungsstab Corona“.

Sehr geehrter Herr Reschke, wie unterscheidet sich aus Ihrer Sicht der aktuelle Lockdown vom ersten im Frühjahr 2020? Wie macht er sich in Ihrer Arbeit bemerkbar?

Zunächst unterscheidet sich der derzeitige „Teil“-Lockdown von dem Lockdown, den wir im Frühjahr erleben mussten dadurch, dass er für viele Menschen weniger einschneidend ist. Insbesondere die Eltern stehen derzeit nicht ganz so unter Druck wie im Frühjahr, als es innerhalb weniger Tage zu Kita- und Schulschließungen gekommen ist und neben den Kitas und Schulen auch die Eltern hiervon völlig überrascht wurden.

Anders ist auch, dass in vielen Bereichen die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown genutzt werden können. Gerade auch die Verwaltungen haben (Krisen-)Stabsstrukturen geschaffen, mit denen sie viel flexibler agieren können. Viel läuft über Video- oder Telefonkonferenzen, die nun auch in den Alltag von Behörden Einzug erhalten haben.

Immer wieder werden Stimmen laut, die Bundesregierung würde mit den Corona-Einschränkungen gegen Grundrechte verstoßen. Schließlich sind die Gesprächsrunden zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundesregierung kein Verfassungsorgan. Ist da etwas dran?

Die Kritik ist nicht unberechtigt. Richtig ist, dass das Gremium der Runde der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten keinerlei „Gesetzgebungskompetenz“ hat. Allerdings wird dies so auch nicht behauptet. Richtig ist vielmehr, dass gerade auch von den Bürgerinnen und Bürgern eine Vereinheitlichung der sogenannten Corona-Reglungen gefordert wurde. Dem ist die Politik, allen voran die Bundeskanzlerin, nachgekommen und hat die einzelnen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten an einen Tisch geholt, um zu diskutieren, welche Regelungen sinnvollerweise zu vereinheitlichen sind.

Insofern halte ich es für sinnvoll, hier eine Vereinheitlichung auf Bundesebene anzustreben, wo dies angebracht ist. Die Regelungskompetenz für den Fall einer solchen Epidemie ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, jedoch den Bundesländern zugeordnet. Diese haben zumeist diese Regelungskompetenz auf die zuständigen Gesundheitsministerinnen und -minister übertragen.

Auch, dass Grundrechtseingriffe mit diesen Regelungen verbunden sind, ist richtig, allerdings sieht das Infektionsschutzgesetz (IfSG) eben diese Grundrechtseingriffe auch vor und dies bereits vor dem Ausbruch der weltweiten Pandemie. Die Bürgerinnen und Bürger erleben diese nunmehr in einem ziemlich ausgeprägten Umfang, aber dies ist gerade der Unterschied zu einer reinen Einzelinfektion mit einer übertragbaren Krankheit und einem Pandemiegeschehen, wie wir es gerade weltweit erleben.

Grundrechte gewähren uns Schutz vor staatlichen Übergriffen und schränken das hoheitliche Handeln ein. Bei der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes rückt § 16 Absatz 4 besonders in den Vordergrund, da er die Unverletzlichkeit der Wohnung einschränkt. Was bedeutet das? Steht bald das Gesundheitsamt oder die Polizei in meiner Wohnung oder auf meinem Grundstück?

Hier gab es leider etwas unbedachte Äußerungen von speziell einem Politiker, den man derzeit des Öfteren in den Medien zum Thema Corona-Pandemie vernimmt. Er mag Mediziner sein, erkennbar ist er aber kein Jurist. Mir wäre lieber, er würde seine kaum vorhandene praktische politische Arbeit in den Ausschüssen des Bundestages mehr in den Vordergrund stellen als seine mediale Egopflege.

Aber zurück zum Thema: Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein hohes Schutzgut. Diese Unverletzlichkeit hat nicht umsonst Grundrechtsrelevanz. Ich sehe im Hinblick auf diese Frage aber eher einen medialen Diskurs, als einen tatsächlich praktisch relevanten. Derzeit kenne ich keine Planungen, hieran zu rütteln. Allerdings und das will ich nicht verschweigen, ist auch die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht grenzenlos geschützt. Sonst würde es keine gerichtlichen Durchsuchungsbeschlüsse geben. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sehe ich allerdings die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht gefährdet.

Widmen wir uns dem Infektionsschutzgesetz aus einer anderen Perspektive. Welche Hilfe können Eltern bei einer Gesetzesänderung erwarten?

Eltern haben bereits ohne diese konkrete Veränderung des Infektionsschutzgesetzes durch frühere Änderungen profitiert. So möchte ich daran erinnern, dass gerade in Zeiten abrupter Kita- und Schulschließungen kurzfristig und zugegebenermaßen oft auch mit „heißer Nadel gestrickte“ Ersatzansprüche für Eltern geschaffen wurden, wenn diese ihrer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen konnten, weil sie ihre Kinder betreuen mussten.

Ich meine hier konkret die Regelung des § 56 Abs. 1a i.V.m. Abs. 2 Satz 4 IfSG. Dass sich dies in der Höhe am Arbeitslosengeld orientiert, kann ich nachvollziehen. Hier muss man einfach wissen, dass sich dieses Gesetz für Pandemiesituationen anfangs nur begrenzt als geeignet erwiesen hat. Denn viele Probleme zeigten sich erst mit der Praxis. Die derzeitige Neuregelung des IfSG erschöpft sich jedoch zumeist nur in einer Verlängerung der damals nur zeitlich begrenzten Regelungen. Aber auch das halte ich für einen Erfolg gerade angesichts dessen, dass sich derzeit das Pandemiegeschehen vermehrt in Einrichtungen wie Schulen und Kitas abspielt.

Derzeit sind die Gesundheitsämter an vielen Orten überlastet. Was bedeutet das für Familien mit einem Verdachtsfall? Wie sollten sie sich verhalten, wenn der Kontakt zum Gesundheitsamt auch nach mehreren Anrufversuchen nicht möglich ist?

Zunächst hat ein Verdachtsfall regelmäßig seinem Ursprung in einem „Positivfall“. Von diesen Positivfällen erhält das Gesundheitsamt automatisch Kenntnis. Hier gibt es zwingend einzuhaltende und gesetzlich geregelte Meldewege. Kontaktpersonen, ob nun mit oder ohne Symptome, prüft das Gesundheitsamt und bildet Kategorien, wonach sich entscheidet, ob jemand abgesondert werden muss oder nicht. Teilweise jedoch – und das gehört auch zur Wahrheit – kommen Gesundheitsämter an Grenzen bei dieser Kontaktnachverfolgung. Realistisch ist, dass Gesundheitsämter bis zu einer sogenannten Inzidenzzahl von 50 pro 100.000 Einwohner diese Kontaktnachverfolgung unproblematisch leisten können. Ab einer Inzidenzzahl von 100 wird sie aus praktischen Gründen lückenhaft.

Einzelne Bundesländer haben die Kontaktnachverfolgung aufgegeben und schicken die Personen per sogenannter Allgemeinverfügung in Quarantäne. Berlin war hier ein ungutes Beispiel. Für Brandenburg bedeutete dies von einem Tag auf den anderen, dass die Kontaktnachverfolgung gerade in den Berlin-nahen Landkreisen kaum noch zu bewerkstelligen war, weil Berlin keine Namen mehr liefern konnte. Dies führte nun vermehrt dazu, dass auch einzelne Brandenburger Landkreise diesen Weg einschreiten, z.B. Barnim und Havelland. Oberhavel wird sehr wahrscheinlich folgen. Die entsprechende Allgemeinverfügung bereite ich gerade selbst vor.

Auch die Arztpraxen erleben einen großen Ansturm, den sie teilweise nicht mehr bewältigen können. Wer bleibt als Ansprechpartner für Familien übrig?

Richtig ist, dass eine Vielzahl niedergelassener Ärzte hier kein leuchtendes Vorbild – gerade im ersten Lockdown – waren. Aus meiner beruflichen Tätigkeit weiß ich, dass es eine Vielzahl von Beschwerden gab, dass niedergelassene Ärzte Patienten abwiesen, zeitweise sogar mit zeitlich befristeten Praxisschließungen drohten. Vermutlicher Hintergrund dabei ist, dass auch bei diesen Angst davor bestand, dass ihre Praxen zu Corona-Hotspots werden.

Hier muss man wissen, dass Ärzte als Teil der Daseinsvorsorge über ihre kassenärztlichen Zulassungen verpflichtet sind, Patienten zu behandeln. Bei Verstößen kann ihnen unter Umständen sogar die kassenärztliche Zulassung entzogen werden. Hier musste die Kassenärztliche Vereinigung eingreifen und auf „freiwillige“ Ärzte zurückgreifen, die sich bereit erklärt haben Tests vorzunehmen. Zudem waren viele Ärzte nicht mit ausreichender Schutzkleidung ausgestattet, was aber ihre Aufgabe ist. Diese Situation hat sich heute verbessert, aber auch hier gab es erste Lerneffekte. Ansprechpartner bleiben in jedem Fall die Gesundheitsämter, aber auch die Krankenhäuser. Das hat immer gut geklappt. Natürlich muss man in einer Telefonschleife auch mal warten, aber das System funktioniert. Inzwischen sind auch die Ärzte wieder eingestiegen.

Was passiert, wenn ein Kind schwer an Corona erkrankt? Ist es möglich, dass der Besuch der Eltern im Krankenhaus verboten wird?

Ich gehe nicht davon aus, dass das verboten wird. Sicher wird es Einschränkungen geben, weil auch die Eltern Viren in sich tragen können. Hier gehe ich aber davon aus, dass entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um begrenzte Besuche zu ermöglichen. Schließlich weiß jeder, dass eine haltende Hand, wenn auch mit einem Handschuh und gegebenfalls auch mit sonstiger Schutzkleidung bedeckt, eine Gesundung wahrscheinlicher werden lässt. Das kennen wir doch alle. Dieses Herz trägt auch unser Grundgesetz in sich. Für schwerwiegende und besondere Gründe gab es nie ein absolutes Besuchsverbot, auch nicht während des ersten Lockdowns.

Für Kinder aus Familien mit einem nachgewiesenen Coronafall verlangen Schulen / Kitas einen negativen Test, bevor sie wieder zum Unterricht / zur Kita gehen können. Ist das rechtens?

Derzeit ist es so, dass generell Kinder, die in Quarantäne sind, nicht zur Betreuung in Kitas, in der Kindertagespflege oder aber auch in Schule und Hort aufgenommen werden dürfen. Dies gilt abschließend sogar für eine sogenannte Notfallbetreuung, die möglicherweise eingerichtet wurde. Das heißt auch, die Notfallbetreuung bleibt ausgeschlossen. Dies ist auch richtig so, denn alles andere würde eine Kindeswohlgefährdung für die übrigen Kinder bedeuten. Hierauf hat zuletzt mit Schreiben vom 09.11.2020 nochmals das Brandenburger Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hingewiesen. Dieses Schreiben war an alle betreffenden Einrichtungen gerichtet und liegt auch mir vor. Hier spielt auch keine Rolle, aus welchen Gründen das Kind selbst in Quarantäne ist, ob nun selbst bereits positiv getestet, Kontaktperson oder auch Krankheitsverdächtiger.

Liegt innerhalb der Familie ein positiver Fall vor, liegt es immer nahe, dass das Kind vom Gesundheitsamt auch als „Kontaktperson I“ eingestuft wird. Erst wenn die Quarantäne offiziell beendet ist, besteht auch kein Risiko für eine Ansteckung anderer mehr. Insofern, ja das ist rechtens und auch richtig so.

An wen sollten sich Familien wenden, wenn sie sich überbelastet fühlen? Was können Familien bei finanziellen Sorgen tun? Wie kann die Kommune helfen?

Grundsätzlich bleibt das Jugendamt immer dann zuständig, wenn es Probleme innerhalb von Familien gibt und sich diese eine Hilfe wünschen. Hier besteht sogar die Pflicht zur Beratung und weiteren Hilfestellungen.

Überdies gibt es eine Vielzahl sogenannter „freier Träger“, die auf dem gleichen Gebiet agieren und teilweise sogar spezialisierte Hilfen bieten können. Einige dieser freien Träger gewähren auch finanzielle Unterstützung, wo andere Hilfen nicht greifen. Generell bei finanziellen Sorgen ist immer auch zu prüfen, inwieweit Ansprüche zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II bestehen. Derzeit brauchen Menschen, die Neuanträge stellen, auch keine Angst zu haben, dass ihre Wohnung „zu teuer“ ist. Denn im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Regelung zur Absenkung der Kosten für Unterkunft und Heizung auf das „angemessene Maß“ vorübergehend ausgesetzt. Dies ist vielleicht gar nicht so bekannt. Möglicherweise bestehen also derzeit Ansprüche, ohne dass die finanziell von der Pandemie betroffenen Menschen diese nutzen.

Kitas und Schulen offenhalten. Ja oder Nein?

Klare Antwort: offen halten, solange es in der Pandemie vertretbar ist. Warum? Gerade die Schließung von Kitas und Schulen ist ein Domino-Effekt in vielen Bereichen. Eltern können ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen. Mit all den Effekten für die Wirtschaft.

Kinder vermissen ihre Sozialkontakte sicherlich mehr als viele Personen im mittleren Alter. Wir verstehen mehr und wir wollen doch auch gar nicht, dass Kinder schon alles verstehen müssen. Ein bisschen „Käseglocke“ ist doch gar nicht so schlecht. Außerdem haben die Erwachsenen schon genug Probleme, mit den anderen Auswirkungen der Pandemie zurecht zu kommen. Vergessen wir auch nicht, dass leider manchmal die Kita oder Schule auch ein Ort ist, an dem Kinder eine Verschnaufpause von widrigen Familienverhältnissen haben. Es gab durchaus verstärkte Probleme mit häuslicher Gewalt während des ersten Lockdowns.

Das Bundeskanzleramt hat in einer Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten das Tragen einer Maske für Schüler und Lehrer vorgeschlagen. Zudem sollen ausnahmslos feste Gruppen von Schülern gebildet und die Gruppengrößen halbiert werden, damit der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten wird. Die Länderchefs sperren sich gegen die Idee, zurecht?

Der Ansatz ist zu begrüßen. Derzeit wird alles daran gelegt, die Kitas und Schulen soweit als möglich offen zu halten. Hier besteht bundesweit einheitlich Konsens. Ab einer bestimmten Betroffenheit müssen allerdings Schulen in das sogenannte „Wechselmodell“ gehen. Auch darüber besteht mittlerweile Einigkeit. Inzwischen haben auch die Länderchefs ihre Hemmungen verloren und die praktische Entwicklung hat zur Einsicht geführt.

Problematisch hierbei ist, dass teilweise moniert wird, dass der gesamte Bildungsbereich gerade in der Zeit nach dem ersten Lockdown einiges verschlafen hat, um entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Hier agieren wir meines Erachtens noch zu unflexibel, weil die Digitalisierung in den Schulen zu wenig fortgeschritten und zu wenig selbstverständlich ist. Hier wünschte ich unseren Kindern einen besseren Fokus der Politik.

Für Dinge, wie die Digitalisierung der Schulen, aber auch der übrigen Infrastruktur, bei denen andere Länder – ich nenne hier nur beispielhaft die baltischen Staaten – vor vielen Jahren bereits den Aufschlag gemacht haben, haben wir zu lange nur zugeschaut. Heute bedauern wir dies, aber es nützt all das Jammern nichts. Hier muss etwas passieren. Dies müssen die Schüler auch einfordern. Zumeist werden gerade die Lehrer als Hemmschuh ausgemacht. Das darf nicht sein. Wer Beamter ist, hat auch einen Auftrag, nämlich sein Land besser zu machen. Da darf es nicht sein, dass man sich Entwicklungen verschließt und sich dem verweigert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zur entscheidenden Phase der Pandemiebekämpfung (28.11.2020)

Der Winter naht. Müssen wir uns auf weitere Einschränkungen unseres täglichen Lebens gefasst machen? Oder: Wann dürfen wir wortwörtlich wieder aufatmen?

Nun ja, wir sind je gerade mittendrin. Zum 01.12.2020 werden neue verschärfte Regelungen gelten. Viele davon waren zu erwarten. Aufgeatmet haben wir in der Praxis das erste Mal, als bekannt wurde, dass es Durchbrüche bei der Impfstoffentwicklung gegeben hat. Nun heißt es, dies auch praktisch vorzubereiten.

Realistisch werden wir noch das nächste Jahr brauchen, um eine Impfung von großen Teilen der Bevölkerung zu erreichen. Derzeit heißen die Zauberworte „nationale Impfstrategie“. Es werden voraussichtlich bereits im Dezember erste Impfungen möglich sein, allerdings noch nicht bei unserem Hausarzt. Planungen gehen dahin, dass zumindest auch im ersten Quartal eine Impfung nur über sogenannte „Impfzentren“ möglich ist. Ich gehe davon aus, dass dies auch im zweiten Quartal noch so sein wird.

Ziel ist dabei sicherlich zunächst Personen zu impfen, die im Bereich der kritischen Infrastruktur beschäftigt sind. Ein weiterer Schwerpunkt wird sein, die vulnerablen Gruppen zu impfen. Logistisch wird eine Impfung erst im zweiten Halbjahr über Hausärzte möglich sein. Solange die Impfungen über Impfzentren laufen, werden die Bundesländer zusammen mit den Landkreisen und kreisfreien Städten die Logistik übernehmen. Hier geht es ja auch um die Lagerung und Kühlung von Impfstoffen, die Errichtung der Impfzentren, den Schutz der Impfstoffe und Impfzentren sowie die Gewährleistung, dass auch entsprechend erforderliches Personal vor Ort ist. Es muss ja auch beraten werden.

Aktuell reden wir in der Planung von 10.000 Impfungen am Tag allein in Brandenburg. Das wird eine Mammutaufgabe sein. Mit dem Einsetzen der Impfmöglichkeiten werden absehbar die Ausbrüche auch weniger, so dass ich davon ausgehe, dass es ab dem zweiten Quartal 2021 wieder „lockerer“ wird. Sicherlich wird man hier aber immer mit Augenmaß vorgehen. Auch ich selbst hoffe, mal wieder in einen Club zu gehen oder auf ein Konzert. Karten von ausgefallenen Konzerten habe ich noch zu Hause liegen.

Ich darf nicht ins Restaurant, die S-Bahn zu Stoßzeiten zu benutzen ist aber in Ordnung. Warum können viele Menschen manche Einschränkungen nicht nachvollziehen? Oder ist die Kritik sogar berechtigt?

Es ist sicherlich so, dass nicht jede kleine Einzelmaßnahme einer vorherigen Studie in ihren Auswirkungen unterzogen wurde. Das war aber auch nicht möglich. Insofern werden Maßnahmen getroffen, die naheliegend sind.

Hier muss auch jeder mal ehrlich zu sich selbst sein. Dass ein Restaurantbesuch etwas sehr Schönes ist, ist zweifellos richtig. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um eine für die Gesellschaft als Ganzes unverzichtbare Sache. Dass das Bahnfahren und der ÖPNV aufrechterhalten werden, um Menschen zur Arbeit bringen zu können, ist da sicherlich wesentlich zwingender. Dass die Gastronomiewirtschaft leidet, ist ein Fakt. Fakt ist aber auch, dass der Staat hier Unmengen an finanziellen Hilfen in Aussicht stellt und diese auch bereits fließen, nicht nur in die Gastronomiebranche.

Die Frage, ob Einschränkungen und deren Notwendigkeit immer auch ausreichend kommuniziert werden, ist sicherlich nicht immer mit „ja“ zu beantworten. Dies ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass die Entscheidungen oftmals schnell getroffen werden müssen. Wir können nicht mit dem Virus verhandeln und erst ein Gläschen Tee zusammen trinken.

Und wenn man ehrlich ist, schauen wir uns doch um: nach Frankreich, Belgien, Niederlande und Großbritannien. Auch Italien ist nicht zu vergessen. Deutschland ist bisher gut mit der Pandemie umgegangen. Wir haben nicht mit Aktionismus agiert, aber auch nicht zu lange gewartet. Wir haben das Maß immer im Blick gehabt, trotz allem, was wir den Menschen an Einschränkungen abverlangen. Manchmal macht sich bei mir der Eindruck breit, die Deutschen pflegen ihr Problembewusstsein auf sehr hohem Niveau. Viele Menschen in anderen Ländern wären froh, in einem Wirtschafts- und Sozialnetz wie in Deutschland aufgefangen werden zu können.

Im Sommer haben Zehntausende in Berlin gegen den „Corona-Wahnsinn“, „Zwangsimpfungen“ und „die da oben“ demonstriert. Warum sind Verschwörungstheorien gerade in Corona-Zeiten so in Mode?

Das hat sicherlich mit der Struktur einer Gesellschaft und auch der konkreten Personen zu tun. Verschwörungstheorien bieten immer etwas Mystisches. Die Überzeugung, zu einer kleinen Gruppe zu gehören, die „die anderen“ durchschaut hat, führt sicherlich zu einem eigenen elitären Selbstbild. Das macht ja etwas mit Menschen. Meckern, aber selbst keine Verantwortung übernehmen, ist immer der einfachere Weg. Man gibt die Problemlösung ab und überhöht seine eigene Meinung, stellt sich selbst über die „unwissenden“ Anderen.

Ich selbst erlebe durch Anfragen an unser Gesundheitsamt auch Verschwörungstheoretiker. Wenn ich den Fragen auf den Grund gehe, merke ich, dass die Anfragen zumeist Textbausteinen entstammen, die im Netz zur Verfügung gestellt werden. Keiner der Anfragenden ist tatsächlich an einer ernsthaften Antwort interessiert. Es geht nur darum, seine Frustration in vermeintliche „Fragen“ zu verpacken. Ich gehe davon aus, dass die wenigsten ihre „Fragen“ jemals selbst gelesen haben oder versucht haben, diesen Fragen intellektuell überhaupt mal auf den Grund zu gehen. Würden sie das tun, würden die meisten der Fragen ihnen selbst peinlich sein. Das ist so ein bisschen wie mit Sekten: das Denken den anderen überlassen, aber zu einer „Elite mit Wissensvorsprung“ gehören zu wollen.

Inzwischen ist mehrfach auch aus dem politischen Raum klargestellt worden, dass es keine Zwangsimpfungen geben wird. Auch rechtlich gibt es keinerlei Ansatz hierfür.

Wie ist Ihre bisherige, persönliche Bilanz? Wo sehen Sie Lichtblicke bei der Pandemie-Bekämpfung? Was ist bisher besonders gut gelungen?

Ich selbst bin seit Februar 2020 mit sämtlichen Rechtsvorgängen im Zuge der Corona-Pandemie vertraut und arbeite im Ausnahme-Modus. Ich habe die Allgemeinverfügungen für „meinen“ Landkreis geschrieben, mit denen wir Kitas und Schulen geschlossen haben, nicht ohne auch an meine Kinder denken zu müssen.

Das Arbeitspensum ist natürlich ein ganz anderes geworden. Wochenendarbeit, Arbeit bis in die späten Nachtstunden, ständige Erreichbarkeit für Krisenfälle – auch an Feiertagen – sind derzeit an der Tagesordnung. Meine Kinder haben das leider zu spüren bekommen. Sicherlich nicht das, was man von einem Volljuristen im „Öffentlichen Dienst“ allgemeinhin erwartet, aber es ist die Realität. Ich beschwere mich aber nicht.

Mir wird immer in Erinnerung bleiben, dass ich gemeinsam mit einer Kollegin und „meinem“ Landrat an einem Sonntag um 22.45 Uhr, als es schon dunkel war, noch eine 7-seitige Allgemeinverfügung am Schwarzen Brett vor dem Landkreisgebäude ausgehängt habe, weil wir erst kurz zuvor die Weisung des Landes Brandenburg erhalten haben. Es ist schon ein amüsantes Bild, wenn der Landrat einem mit der Taschenlampe leuchtet, damit man die Verfügung im Dunkeln noch aushängen kann. Aber solche Erinnerungen schweißen auch zusammen.

Auch die Gesichter im Büro des Landrates werde ich nie vergessen, als gerade live die Bilder aus Italien mit Militärkonvois voller Leichen gezeigt wurden. Die Farbe war aus den Gesichtern gewichen. In diesem Moment ist uns wohl allen klargeworden, was schlimmstenfalls auf Deutschland zukommen kann. Das hat schon Angst gemacht. Keiner wollte sich solche Bilder aus Deutschland vorstellen. Spätestens da wussten alle, dass es mehr als Ernst war.

Lichtblick ist für mich, dass inzwischen Impfstoffe gefunden wurden und die Menschen die Chance haben, auch wieder zur Normalität zurückzufinden.

Gut gelungen ist, dass wir in der Betroffenheit anders und vielfach besser dastehen, als andere Länder. Dies spricht für Deutschland. Wir können also auch „Krise“!

Sehr geehrter Herr Reschke, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sebastian Heimann, Bundesgeschäftsführer des DFV


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